Jazzhaus S BSIN04054726 (Vinyl-LP analog)

Sims, Zoot - Lost Tapes, SWR Archiv 1958 (Vinyl-LP analog)

Man sagt, es sei Jimmy Giuffre gewesen, der 1947 im Orchester von Woody Herman mit seiner Komposition "Four Brothers" und seiner kultivierteren aufs höchste verfeinerten Tonbildung Anschluß an Lester Youngs gelassene Ausdrucksweise gesucht habe und die Jahre des Cool Jazz eingeleitet habe. Beim genauen Hinhören ist es so, wie meist im Jazz: es ist die Geschichte von Persönlichkeiten und von Begegnungen, die einen "Stil", eine Spielweise, einen Haupt- und einen Nebenweg in der Entwicklung abbilden. Jazzmusiker haben ohnehin nie an so etwas gedacht: sie haben das gespielt, was sie in sich nach außen kommen fühlten.
Ein solches "Coming Out" ist das Konzert vom 23. Juni 1958 im "UKO", einem Hörfunkstudio des Südwestfunks Baden-Baden /Germany. Hier kommt es – initiert von Joachim-Ernst Berendt, Jazzredakteur und Spiritus Rector des Jazz in Deutschland nach 1945 – zu einer Begegnung des damals "coolsten" europäischen Tenoristen Hans Koller mit Zoot Sims, einem der Präzeptoren der "Four Brothers"-Spielweise, der wie Giuffre, Al Cohn und Stan Getz damals bei Woody Herman spielte.
1958 war Sims mit Benny Goodman in Europa und spielte auf der Weltausstellung in Brüssel. Dort lernte er den aus Wien stammenden Hans Koller kennen, der damals in Baden-Baden lebte. Sims hatte zwei Jahre zuvor eine Blue Note-Einspielung mit der deutschen Pianistin Jutta Hipp gemacht und war neugierig auf weitere Begegnungen mit europäischen Jazzern. Durch seine Duo-Erfolge mit Al Cohn war er das "Doppeltenorspiel" gewohnt und folgte gerne der Einladung Kollers nach Baden-Baden. Sofort plante Berendt ein Studiokonzert mit den beiden, zu dem er weitere Größen des Jazz anfragte. Helmut Brandt zum Beispiel, der aus der Kurt Edelhagen Band kam und dessen Bariton dem Gerry Mulligans zum Verwechseln ähnlich klang; Hans Hammerschmid, aus dem Orchester Edie Sauter, ein an Wynton Kelly erinnerndes energisch-kühles Piano spielte; Peter Trunk, ein begnadeter deutscher Bassist; und schliesslich Kenny Clarke, der 1956 das Modern Jazz Quartet verlassen hatte und nach Paris gezogen war.
Zoot Sims in Baden-Baden am 23. Juni 1958 war eine einzige Jam Session. Jedes Stück in anderer Besetzung und verschieden instrumentiert: Sims und Koller auf dem Tenorsaxophon zur Einstimmung mit All The Things You Are; auf der Klarinette in Hammerschmids Komposition Minor Meeting For Two Clarinets – eine Referenz an die Leidenschaft von Lester Young für dieses Instrument. Und einfach großartig Zoot Sims mit Tangerine. Darauf antwortet Hans Koller mit Fallin' In Love: elegant und leichtfüssig, wie ein früher Stan Getz auf dem Weg nach Brasilien;
Blue Night (mit sechsstimmigem Bläsersatz) ist einer der Höhepunkte des Konzertes: ein wunderbar zwischen Bigband und Ensemblejazz changierenden Stück. Man spürt förmlich, wie die Musiker sich in ihren Soli behutsam von ihrer Bigband-Geschichte lösen, um dann leicht und elegant wieder vom Ensemblespiel eingeholt zu werden. Gleiches gilt für Open Door, in dem Kenny Clarke das Ensemble mit jedem Takt unerbittlich weitertreibt und Zoot Sims auf dem Altsaxophon für einen Moment die Studiotür öffnet und von draussen der Bebop, der Stil der Zeit in das Konzert flutet.
Vergessen war dieses Konzert, verloren für Jazzliebhaber. Eine 1988 erschienene Pressung war fehlerhaft und von minderer Tonqualität. Grund genug, mit dieser Edition Zoot Sims, Hans Koller, Hans Hammerschmid, Peter Trunk, Kenny Clarke und den anderen noch einmal Gelegenheit zu geben, hör- und spürbar zu werden.
Tracklist:
Side 1:
1. All the things you are (04:48)
2. Minor meeting for two clarinets 06:40)
3. Blue night (05:47)
4. Open door (04:17)

Side 2:
5. Fallin’ in love (04.10)
6. I surrender dear (03:56)
7. Tangerine (03:39)
8. I'll remember April (08:56)
Released 2012.
Preis: 26,90 EUR