RST BSIN01047060

Mytteis, Landl & CO - Steffl Swing

Tracklisting:
1. Tiger rag (N. LaRocca) (2:18)
2. Opus one (E. Landl) (2:02)
3. Undecided (Charlie Shavers) (3:07)
4. St. Louis Blues (W. C. Handy) (2:22)
5. Oh Marie (Nisa-Di Ceglia) (2:56)
6. Jeepers creepers (Warren – Mercer) (2:16)
7. Sie will nicht Blumen und nicht Schokolade (Carste) (2:28)
8. Dinah (Akst) (2:58)
9. Some of The Days (Brooks) (2:20)
10. Pause (E. Landl) (2:48)
11. Tanz mit mir (E. Landl) (1:20)
12. Zwölf Uhr Nachts (E. Landl) (3:14)
13. Stammgericht (E. Landl) (2:13)
14. Dunkle Schatten (E. Landl) (3:03)
15. Tanz mit mir (E. Landl) (3:15)
16. Estrellita (Manuel Ponce) (3:19)
17. Harte Nüsse (=Steffl Swing) (E. Landl) (2:45)
18. Non credete alle donne (Nino Sereno) (2:40)
Recorded 1943-1947.
Wien 1943/44: Die Donaumetropole ist Hauptstadt der "Ostmark" und Bestandteil des "Großdeutschen Reiches". Der Zweite Weltkrieg tobt, Stalingrad ist am 31. Jänner 1943 gefallen und Hitlers Niederlage beginnt sich abzuzeichnen. Aber noch haben die Nazis alles "fest im Griff". Die Behörden verschärfen ihre Schikanen gegen die Bevölkerung. Die Terrormaßnahmen gegen rassisch Verfolgte und Regimegegner erreichen ihren Höhepunkt. Kontrollen und Razzien bestimmen den Alltag im "Dritten Reich". Seit dem Frühjahr 1943 verstärken die anglo-amerikanischen Alliierten ihre Bombenangriffe auf das deutsche Reichsgebiet. Auch auf Wien.
Jazz und Swing gelten bei den Nazis von Anfang an als "artfremd" oder "entartete Kunst". Schon im Oktober 1935 hat der Reichssendeleiter Eugen Hadamowski ein Jazzverbot für alle deutschen Rundfunksender erlassen. Das Verbot tritt nach dem "Anschluß" natürlich auch für die "Ostmark" in Kraft. Der Jazz wird als "Nigger-Jatz" oder "angelsächsisch-jüdische "Hotmusik" ebenso diffamiert wie seine Anhänger. Nationalsozialistische Presseerzeugnisse wie "Der Stürmer" oder "Der Völkische Beobachter" hetzen gegen Jazzmusiker: "Der Rattenfänger von Neu York" ... "Die Verbrecherhände des Swingjuden Benny Goodman" "Swings" und "Schlurfs", die Anhänger der amerikanischen Populärmusik, stehen ideologisch und äußerlich im krassen Gegensatz zur offiziellen Hitlerjugend. Dem Jazzfan Walter Kostial werden die langen Haare abgeschnitten, weil er im Park den "St. Louis Blues" pfeift. Günther Schifter kommt ins Gefängnis, weil er "Feindsender" im Radio hört. Es gibt gewalttätige Auseinandersetzungen. Die Reichsmusikkammer wacht über die Einhaltung sinnloser Verbote gegen das "Aufführen jüdischer Komponisten" oder das "Spielen angelsächsisch-jüdischer Hotmusik". "Swingtanzen verboten" steht in vielen Tanzlokalen deutlich zu lesen.
Das war das Umfeld, in dem die Musik, die auf dieser CD zu hören ist, gemacht wurde. Jam Sessions im Zentrum einer Nazimetropole. Es mutet wie ein Wunder an.
Im Herzen von Wien, am Stephansplatz gegenüber dem Riesentor des Stephansdomes, stand das Cafe de l'Europe. Dieses hatte im ersten Stockwerk eine Tanzbar, genannt die "Steffl-Diele". Diese Bar bekam eine gewisse Bedeutung für den damaligen "Underground", also für swingbegeisterte "Schlurfs", für Widerstandskämpfer und sonstige Nonkomformisten, als dort 1943 drei grandiose Musiker zu spielen begannen: der italienische Sänger und Gitarrist Vittorio ("Vickerl") Ducchini, der Wiener Geiger Herbert Mytteis und der Wiener Pianist Ernst Landl. Möglicherweise lag eine gewisse Absicht der Behörde dahinter, in der "Steffl-Diele" Musiker und Publikum gewähren zu lassen. Zeitzeugen erklären es so: ... man ließ das Lokal relativ unbehelligt, denn es verkehrten viele Frontoffiziere darin, Leute mit Reputation .... man wollte ausländischen Geschäftsleuten und Diplomaten beweisen, wie "tolerant" man war .... es war ein Ablenkungsmanöver, wenn schon kein Brot für die Menschen da war, dann sollten sie doch etwas' Vergnügen haben.

Jedenfalls war die "Steffl-Diele" die große Ausnahme im Unterhaltungsleben von Wien.
Das "Geschäft" organisierte Ducchini. Er holte sich Mytteis und Landl, die sich wohl kannten aber noch nie zusammen gespielt hatten. Vor allem Mytteis war ein "Original" von dessen Eskapaden sich noch heute ältere Musiker erzählen. Nach und nach gesellten sich zu diesem Trio noch weitere Jazztalente jener Zeit. Aus Frankreich kamen deportierte Zwangsarbeiter, der Saxophonist Roby Davis, der Geiger Roger Godet und vor 'allem der Drummer Arthur Motta. Auch der Wiener Musikernachwuchs fand sich in der "Steffl-Diele" ein: Rudy Kregcyk (cl, ts), gelegentlich Hans Koller (wenn er Fronturlaub hatte), Leo Eggenberger (g), Roland Kovac (cl, p), Fritz Gartner (ts),"Jary Skoumal (b), Jula Koch (dr) ....
Glücklicherweise haben alle diese Protagonisten der Jazzmusik den Krieg überlebt (Vittorio Ducchini starb 1952 in Innsbruck, Herbert Mytteis 1967 in Wien.., und Ernst Landl 1983 in Stockholm; Rudy Kregcyk ist heute Konstrukteur und Prokurist eines Industrieunternehmens, Arthur Motta spielte nach dem Krieg wieder in Frankreich mit Hubert Rostaing und Django Reinhardt und starb in seiner Heimat). Das Cafe de l'Europe brannte samt der "Stefftl-Diele" in den Apriltagen 1945 aus, in jenen Tagen als auch der Stephansdom zerstört wurde.
Die Popularität des Trios Ducchini - Mytteis - Landl veranlaßte die Schallplattenindustrie 1944 Aufnahmen mit dem Ensemble Ernst Landl zu machen. Freigegeben wurden aber nur einige Chansons mit den Gesangssolistinnen Gretl Rath und Jane Tilden. Die Jazzaufnahmen blieben vorerst unveröffentlicht. Vor kurzem erschienen drei Jazztitel auf der Serie "Bob Sette - Das Schönste von damals" (Bob's Music). Es handelt sich dabei um die Testpressungen auf 12, 13 und 16. Der Rest ist erstmals auf einem Tonträger. Die übrigen Aufnahmen verdanken wir einem damals jungen Mann, der nicht nur technische Begabung hatte, sondern auch über Jazzfeeling verfügte, außerdem im Besitz einer voluminösen Aufnahmemaschine war und überdies den Mut hatte, dieses Gerät samt Nierenmicrophon in einer Bar aufzubauen, in der verbotene Musik gespielt wurde und in der Jeden Augenblick eine Razzia der Gestapo stattfinden konnte. Sein Name: Friedolin Weniger.
Wenn Sie, verehrter Sammler, vor allem an den technischen Neuheiten und am einwandfreien Sound interessiert sind, wird Sie diese Scheibe kaum beeindrucken. Wenn Sie aber im Medium CD auch eine Möglichkeit der historischen Dokumentation sehen und wenn Sie obendrein Jazzfreund sind, dann ist dieser Tonträger für Sie ein Muß!
Die Musik, die Sie hier hören, ist swingender, tanzbarer Jazz. In vielen europäischen Städten wurde er so gespielt. Die Einflüsse von Reinhardt, Grappelli oder Basie sind unüberhörbar. Die Musiker spielten vorzüglich, aber nicht sensationell. Sensationell ist aber, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfeld diese Musik gemacht werden mußte:
Wien 1943/44 ..... (KLAUS SCHULZ)
Price: 13,50 EUR