Gramola BSIN02646735

Moser, Barbara - Recital (Grieg, Liszt, Brahms, Schumann)

Composer: Johannes Brahms, Edward Grieg, Franz Liszt, Robert Schumann

Barbara Moser - Recital (Grieg, Liszt, Brahms, Schumann)
Barbara Moser (Klavier)
Gleichsam eine spezielle Form von „nordischer Spätromantik“ vertreten die vielen kleinen, oft programmatisch bestimmten Klavierstücke Edvard Griegs, die durch ihre den jeweiligen „Inhalt“ der Werke umreißenden Überschriften die Stimmungssphäre meist unmißverständlich darlegen. Deutlich an Schumanns kleine programmatische Klavierwerke („Kinderszenen“, „Waldszenen“ etc.) sowie an Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ anschließend, verbinden sie die „charakteristische“ romantische Klavierminiatur mit dem oft gerühmten „nordischen Ton“ (und bisweilen tatsächlich mit norwegischen Tänzen und Volksliedern) zu faszinierender Synthese. Insbesondere die „Lyrischen Stücke“ zählen zum Schönsten und Stimmungsvollsten, das der Komponist geschaffen hat, obwohl man sie in Zeiten der Gefühllosigkeit nicht selten als „sentimentale Salonmusik“ bezeichnete. Inzwischen wissen aber die meisten die Stücke wieder zu schätzen. Aus den zehn Sammlungen von insgesamt 66 Kompositionen aus den Jahren 1867 bis 1901 erklingen die Werke „Entschwundene Tage“ („Svunne dager“), Vöglein („Småvugl“), „Zug der Zwerge“ („Trolltog“ mit dementsprechend überaus grotesken Wirkungen), „Notturno“ (ein impressionistisches Stimmungsbild mit eingebauten Vogelrufen), „An den Frühling“ („Til våren“), „Schmetterling“ („Sommerfugl“) und „Hochzeitstag auf Troldhaugen“ („Bryllupsdag på Troldhaugen“). Letzteres hieß zunächst „Die Gratulanten kommen“; der endgültige Titel wurde von Grieg dann wohl in Erinnerung an die eigene, 1893 gefeierte Silberhochzeit gewählt.
Franz Liszt, in seiner Jugend Liebling der Salons und der Frauen, gefeierter Virtuose und Komponist effektvoller Piècen, ab der Mitte seines Lebens aber immer mehr grüblerischer Einzelgänger und würdiger Abbé, rief bereits zu Lebzeiten die Spottlust seiner Umwelt auf den Plan, die hinter dem auffälligen Wandel nur eine Über-Reaktion auf die vom Papst vereitelte Verehelichung mit der ukrainischen Fürstin Sayn-Wittgenstein sah.
Hand in Hand mit den geänderten Lebensverhältnissen war aber auch eine Neuorientierung im kompositorischen Werk gegangen. Aus dem Schöpfer rauschender Virtuosenstücke war immer mehr ein Verkünder musikalischer Poesie, ein Ausdeuter verinnerlichter psychologischer Programmatik, ein Darsteller mystischer religiöser Inhalte geworden, und angesichts des offenkundigen Genrewandels übersah man allzu leicht die konstanten Größen im Oeuvre des Komponisten: Denn auch hinter noch so virtuosem Tastengedonner, hinter noch so äußerlich-programmatisch wirkenden Klangfarben war schon immer die Idee von der Musik als poetischer Kunst gestanden, die wie keine andere befähigt ist, „innere Vorgänge“ in eine Sphäre des Erhabenen, des Geistig-Sinnlichen zu erhöhen.
Daß harmonische Kühnheiten, scharfe Chromatik und eine jeglicher Funktionalität entsagende Tonalität damals weit in die Zukunft wiesen, erkennt man heute ebenso wie die ungeheure Modernität der späten Klavierwerke Liszts, die bei völligem Verzicht auf weite Entwicklungen nur mehr emotionale Essenz des Auszudrückenden sind, meditative Poesie von noch nie gehörter Verinnerlichung – weit über hundert Jahre nach seinem Tod hat uns Liszt mehr zu sagen denn je.
Von der Hand Franz Liszts besitzen wir auch zwei Balladen, „erzählende“ Stücke von hohem poetischem Ausdruck, von denen die 1853 entstandene h-Moll-Ballade keine programmatische Überschrift besitzt; starke Chromatik und düstere Farbgebung lassen der Phantasie des Zuhörers jedoch keinen allzu großen Spielraum. Rezitativische Abschnitte und grandiose Steigerungen sind weitere Ausdruckssphären, die das Werk eindeutig in den Bereich persönlich empfundener Darstellungsmusik stellen; ebenso wie die zarten, etwas resignativen Farben, mit denen das Stück endet. Übrigens besitzt auch die in zeitlicher Nähe zu dieser Ballade entstandene h-Moll-Sonate ebenfalls einen verhaltenen Schluß; in beiden Fällen hatte Liszt ursprünglich eine virtuose Schlußsteigerung vorgesehen, auf diese dann aber verzichtet.
Robert Schumann widmete seine frühen Kompositionen nur seinem eigenen Instrument: unter den Opuszahlen 1 bis 23 finden sich ausschließlich Klavierwerke. Und noch im Jahre 1839 können wir bei ihm lesen, daß er „Gesangskompositionen … unter die Instrumentalmusik gesetzt habe und nie für eine große Kunst gehalten“. Schumann steht hier als typischer Vertreter seiner Zeit vor uns, die ganz im Gegensatz zu Barock und Klassik (wo die Vokalmusik bei weitem höher als die der Unterhaltungssphäre zugerechnete Instrumentalmusik geschätzt wurde) an der Instrumentalmusik das Unbestimmte, Geheimnisvolle, nicht durch einen Text Entschlüsselte liebte.
Gemäß dieser Ästhetik übernahm die Klaviermusik auch etliche Funktionen, die zuvor die Vokalmusik besessen hatte: sie galt als „poetisch“, gab Stimmungen, Inhalte und ganz persönliche Anliegen wieder und malte Bilder, Landschaften und Handlungen nach, wobei auch „reine“ Instrumentalformen häufig ein inneres Programm besitzen.
Das gilt wahrscheinlich auch für Schumanns „Symphonische Etuden“, op. 13, die er 1834 unter deutlichem Einfluß durch Niccolò Paganini verfaßte. Zunächst als „Etuden im Orchestercharakter von Eusebius und Florestan“ geplant, erschienen sie 1837 als zwölf „Symphonische Etuden“. – Zusätzlich zu den zwölf durch Schumann veröffentlichten „Etuden“ existieren aber noch weitere fünf Nummern, die der Komponist nicht herausgab; vielleicht wollte er die zyklische Anlage raffen, vielleicht gab es aber auch andere, inhaltlich-autobiographische Gründe, welche diese Eliminierung veranlaßten. Hierfür spricht schon die Tatsache, daß von den ursprünglich konzipierten „Etuden“ nahezu sämtliche „Eusebius“-Nummern wegfielen. („Eusebius“ und „Florestan“ waren zwei fiktive Gestalten, welche die beiden Charaktereigenschaften Schumanns personifizierten: Florestan ist die Verkörperung des feurigen, leidenschaftlichen Enthusiasten, Eusebius eine sanfte, schwärmerische, vielleicht auch lebensuntüchtige Natur.) Schließlich muß bedacht werden, daß das Thema der „Etuden“ aus der Feder des Vaters von Schumanns erster Verlobter Ernestine von Fricken stammt; und gerade die sinnlichen, zum Teil besonders tief empfindenden „Eusebius“- Variationen könnten manche Begebenheit aus Schumanns früher Beziehung zum Inhalt haben, die der Öffentlichkeit (und Clara?) vorenthalten werden sollte. – Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, daß Clara die „Etuden“ nicht leiden konnte.
Unabhängig von diesen Spekulationen zeigt sich Schumann in seinen „Symphonischen Etuden“ weit von virtuosem Selbstzweck entfernt. Im Gegenteil: Er empfand diese Art der Variationenreihe deutlich dem „Capriccio“ angenähert, einem inhaltlich bestimmten Charakterstück. Dabei ist jede Nummer gleichsam ein Ausdrucksstück von „symphonischer“ Größe.
Hier gelangen die „Symphonischen Etuden“ derart zur Aufführung, daß zunächst das Thema gemeinsam mit den fünf „eliminierten“ Etuden aus dem Nachlaß erklingt. Um diese von Schumann nie geplante Folge von der gedruckten Form des Werkes abzuheben, wird danach die g-Moll-Rhapsodie von Johannes Brahms zwischengeschaltet, an die sich dann ihrerseits die Druckfassung der „Symphonischen Etuden“, op. 13, anschließt.
Der Bogen beginnt also mit dem Hauptgedanken der „Etuden“, einem Gebilde von schlichter Kantabilität und dennoch orchestral angereichertem Klaviersatz. Aus ihm gewinnt Schumann in der ersten posthumen Variation arabeskenhafte Figurationen, die vor allem dem harmonischen Duktus nachspüren. Variation Nr. 2 stellt fein ziselierte Seufzer neben etüdenhafte Brillanz, Variation Nr. 3 breite Harmonietöne im Baß neben unruhig aufgelockerte Oberstimmenmelodik und synkopisch verschobene Akkorde. „Con espressione“ singt Variation Nr. 4 aus, um dann immer wieder lockerem Figurenwerk zu verfallen, ehe die Variation Nr. 5 rasche Arabesken mit tiefen Synkopen-Ketten verbindet und zu dramatischer Dichte führt.
Die tragisch durchpulste Rhapsodie g-Moll, op. 79/2, von Johannes Brahms steht in einer durch ein drittes Thema erweiterten Sonaten-hauptsatzform, wobei sich durch den allen Gedanken zugrundeliegenden Triolen-Rhythmus eine einheitstiftende Konstante ergibt. Das Hauptthema ist prägnanten Dreiklangstönen verpflichtet und strebt mit breiter Bewegung aufwärts, zieht dann aber seinerseits einen dramatisch gesteigerten, kriegerische „Reit-Rhythmen“ exponierenden Nachsatz nach sich. Chromatisch geschärfte Lyrik durchzieht den kantablen Seitengedanken, während der dritte Einfall fast gespenstisch dahinjagt und durch eine emporspringende Quart an eine drohende Gebärde gemahnt. Die Durchführung spart dann den lyrischen Seitensatz aus, verbindet verschiedene Elemente des Materials mit einem Anklang an Giacomo Meyerbeers Choral „Ad nos, ad salutarem undam“ und gelangt durch extreme dynamische Gegensätze zu beklemmenden Wirkungen. Schließlich hebt die Reprise mit der formalen Rundung an, gibt dann aber noch einer breiten Coda Raum, die nach kurzer Dur-Aufhellung in der trüben Grundtonart endet.
Es folgt nun die gedruckte Form der „Symphonischen Etuden“, op. 13, von Robert Schumann. An den Hauptgedanken schließt hier sofort die kontrapunktisch belebte erste, düster wirkende Variation an, in der zweiten Variation liegt das Thema im Baß und erfährt virtuose Umspielungen von leidenschaftlichem Charakter. Das virtuose Element bevorzugt Schumann auch in der dritten Nummer, einer scherzoartigen Staccato-Studie, dann zeigt sich die vierte Variation als kunstvoller Kanon von dennoch vollgriffiger Faktur. Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik scheint der fünften Variation, einem romantischen Spuk voll humoristischen Lebens, Pate gestanden zu sein, während der sechste Teil durch scharfe, gleichsam ununterbrochen fortgeführte Synkopen besticht. Intermezzo-Charakter besitzt die siebente Variation, Nummer acht stellt eine Reverenz vor Johann Sebastian Bach dar und ist eine barocke Ouvertüre im französischen Stil, wie sie der Thomaskantor häufig verwendete. Als brillantes Scherzo erscheint die neunte Variation, dann bringt die zehnte ein Bravourstück von unerhörtem pianistischem Schwung, ein energiegeladenes „Perpetuum mobile“ voll Kraft und Dynamik. Noch einmal kehrt Schumann zu zarten, träumerischen Stimmungen zurück: Die elfte Nummer ist gleichsam ein Nocturne à la Chopin. Das Finale schließlich entpuppt sich als groß angelegtes Rondo, in das hinein ein Thema aus Heinrich Marschners Oper „Templer und Jüdin“ verflochten wurde: „Du stolzes England, freue dich“ – eine Widmung an den englischen Komponisten William Sterndale Bennett, dem das Werk zugeeignet ist. Mit brillant gesteigerter, durch eine überraschende harmonische Rückung besonders pathetischer Schlußwirkung endet die Variationenreihe.
(Hartmut Krones)
Released 2003.
Price: 16,90 EUR